Einkaufsführer für den Straßenbau Deutschland

Frei zum Ausschluss?
Über die Wertungsfähigkeit eines freibleibenden Angebotes

VK Nordbayern (Beschl. v. 18.11.2021, Az.: RMF-SG21-3194-6-35)
Lange war es im Vergaberecht unstrittig: Das Angebot eines Bieters muss verbindlich sein und darf nicht von den Ausschreibungsunterlagen abweichen, damit es durch den Zuschlag angenommen werden kann. Doch dann kam der Bundesgerichtshof (BGH) und hat mit seinem Urteil vom 18.06.2019 (Az.: X ZR 86/17) diese starre Sichtweise aufgelöst. Wenn ein Bieter zum Beispiel versehentlich sein Angebot auf Briefpapier mit rückseitigem AGB-Aufdruck einreicht, dann kann man sich diese einfach hinwegdenken. Ist die Abweichung von den Vergabeunterlagen so beseitigt, darf das Angebot gewertet werden.

Doch widerspricht die Idee des Hinwegdenkens dem alten Zitat aus Goethes Faust: „Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“ Auch wenn es sich dabei nicht um einen Lehrsatz des Römischen Rechts handelt, bleibt die Frage, wie viel und welches Geschriebene denn nun hinweggedacht werden darf. Die Vergabekammer Nordbayern zum Beispiel denkt sich den Aufdruck „freibleibendes Angebot“ hinweg, der auf einem Begleitschreiben des Angebotes zur Lieferung von Kehrmaschinen angebracht war, allerdings jeweils erst auf der zweiten Seite und nicht etwa als Titel – während der Angebotstext mit der Zusicherung schließt, dass sich der Bieter bis zum Ablauf der Bindefirst an sein Angebot binden werde.

Die Vergabekammer sieht das Angebot also als widersprüchlich an und eröffnet den Weg der Aufklärung darüber. In Übereinstimmung mit dem BGH sieht sie die Aufklärung als zielführend, denn wenn der Bieter erklärte, der Aufdruck sei gegenstandslos, so verbleibt ein wertbares Angebot. Konkret bedeutet dies: Auch wenn der Bieter schrieb, er bliebe frei, sein Angebot zu verwerfen, so war der Auftraggeber dennoch nicht frei, ihn deswegen auszuschließen. Er hätte den Bieter fragen müssen, ob er die fragliche Aufschrift wirklich ernst meint. Wie man da noch die Grenze zum unzulässigen Nachverhandeln eines Angebotes ziehen soll, bleibt ein Geheimnis – nicht des Mephistopheles, sondern des BGH.

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